Gesunde Kinder und Jugendliche?

17.08.2005 - Gesunde Kinder und Jugendliche? – Ergebnisse der Reihenuntersuchungen im Havelland

Gesundheitsfürsorge für Kinder und Jugendliche ist im Land Brandenburg ein hohes Gut. Regelmäßige Untersuchungen der Kita- und Schulkinder sollen helfen, gesundheitliche Probleme oder Schädigungen frühzeitig und auch dann zu erkennen, wenn vorsorgende familiäre Arztbesuche nicht zum Alltag gehören. Gleiche Chancen für alle Kinder aus allen sozialen Schichten ist der Gedanke, der hinter diesem Ansatz steht. Geregelt und vorgeschrieben sind diese Untersuchungen, für die die Gesundheitsämter der Landkreise zuständig sind, im Brandenburgischen Gesundheitsdienstgesetz.
Reihenuntersuchungen werden in folgenden Abständen vorgenommen: Bei den 0-5 Jährigen Kitakindern, vor der Einschulung, in den sechsten Klassen und bei den Schulabgängern incl. Förderschülern  bzw. Zehntklässlern. Die letzten beiden Gruppen wurden im Havelland im vergangenen Schuljahr 2004/05 erstmals in einem Modellprojekt von Kinderärzten der Havellandklinik untersucht, wie schon mehrfach berichtet. Die Dokumentation der Daten obliegt jedoch weiterhin dem Gesundheitsamt.
2167 Schulabgänger und Schüler der zehnten Klassen sind von den Kinderärzten in den Schulen untersucht worden. Sie gilt als Erstuntersuchung nach dem Jugendarbeitsschutzgesetz und ist wichtig für jede Art des Berufseintrittes. Dass die staatliche Gesundheitsfürsorge tatsächlich notwendig ist, zeigen folgende Zahlen: Fast ein Viertel aller Schüler (24 %) wurde im Anschluss an Fachärzte überwiesen.
Häufigster Grund dafür waren Seh- und Hörschwächen. 33 Prozent aller Schüler sind davon betroffen; bei immerhin elf Prozent „entdeckten“ die Ärzte das Problem und schickten die Schüler damit erstmals zum Facharzt. 19 Prozent der Untersuchten zeigten Funktionsstörungen an Wirbelsäule und Gliedmaßen; bei 5 Prozent von ihnen wurde die Problematik erstmals erkannt und überwiesen. 11 Prozent litten an Hauterkrankungen; darunter 2,5 % „neu entdeckt“ in der Reihenuntersuchung.  Impfauffrischungen waren bei 66 Prozent aller Untersuchten nötig. Erhebliches Übergewicht haben 11 Prozent der Schulabgänger, und  21 Prozent leiden an Allergien. „Mit diesen Werten, die sich auch im Vergleich zu den Vorjahren kaum verändert haben, entsprechen wir dem brandenburgischen Mittel“, lautet die Einschätzung der zuständigen Ärztin im Gesundheitsamt, Marita Dietrich. „’Havelländische Besonderheiten’ lassen sich nicht erkennen.“
Bei den 1080 Sechstklässlern zeigten sich ähnliche Ergebnisse: 20 Prozent haben Augenprobleme, davon wurden 8 Prozent neu entdeckt. 4 Prozent weisen Hörstörungen auf, und nur bei einem Prozent war das bereits bekannt. Haltungsschäden (Wirbelsäule und Gliedmaßen) wurden bei 29 Prozent der Schüler diagnostiziert, 6 Prozent davon wurden erstmals zum Facharzt geschickt. 8 % litten unter erheblichem Übergewicht. „Ca. 20 Prozent der Sechstklässler haben wir aus verschiedenen Gründen zum Facharzt geschickt, und bei fast drei Viertel aller Schüler sehen wir  Handlungsbedarf -  wir haben  Turnempfehlungen ausgesprochen, Impfungen angemahnt und Ernährungstipps gegeben“, sagt Marita Dietrich.
Die Schuleingangsuntersuchungen führt das Gesundheitsamt weiter in alleiniger Regie durch. Diese Untersuchung ist eine klassische Pflichtuntersuchung, denn ohne sie gibt es keine Einschulung. Sie wird vom Gesundheitsamt im Beisein der Eltern vorgenommen.
1809 kleine Havelländer sind in diesem Jahr in Vorbereitung auf die Schulzeit untersucht worden. 10 Prozent von ihnen sind letztlich aufgrund von Entwicklungsschwierigkeiten, zum Teil auch in Kombination mit Elternwunsch, zurückgestellt worden und werden erst ein Jahr später eingeschult. Auch vorzeitige Einschulungen gab es: Knapp 3 Prozent hatten das Regelschuleintrittsalter noch nicht erreicht, wurden jedoch aufgrund der Testergebnisse für schulreif befunden. Meist sind das fünfjährige Kinder; doch auch ein schlauer, sozial und körperlich fitter Vierjähriger war darunter. Das ist, schränkt die Fachärztin ein, jedoch eher die Ausnahme.
Bei den Vorschulkindern setzen die untersuchenden Ärzte noch andere Untersuchungsschwerpunkte als  bei den  Sechs- und Zehntklässlern und erhalten auch deutlich andere Ergebnisse. Ein Schwerpunkt liegt hier auf der sprachlich-geistigen Entwicklung. Sprachstörungen wie Schwierigkeiten mit Artikulation oder Grammatik zeigten ein Viertel aller Kinder. 10 Prozent von ihnen waren schon in logopädischer Behandlung; weitere 7 Prozent wurden im Ergebnis überwiesen. Kinder, die Deutsch nicht als Muttersprache sprechen, haben im Havelland an diesen Werten jedoch so gut wie keinen Anteil, betont Kinderärztin Dietrich – anders als in Metropolen mit hohem Ausländeranteil.
Psychomotorische und Wahrnehmungsstörungen (darunter sog. ADS (attention deficite syndrom)- bzw. Zappelphilipp-Kinder) wurden bei 10 Prozent bemerkt, jedoch nur ein Prozent davon mussten zum Facharzt überwiesen werden. Ähnlich die Werte zu Störungen im Sozialverhalten: 7 Prozent der Kinder wiesen welche auf; Behandlungsnotwendigkeit bei 1 Prozent. Geistige Retardierung wurde bei 8 Prozent der Kinder festgestellt. Diese sind jedoch zum Großteil schon in der heilpädagogischen Frühförderung betreut.
Sehfehler und Übergewicht sind bei den Kindern vor Schuleintritt noch lange nicht so stark ausgeprägt wie bei den Folgeuntersuchungen: Jeweils 9 Prozent waren betroffen, nur 2 Prozent davon mussten zum Augenarzt überwiesen werden. Haltungsfehler gibt es bei Vorschulkindern kaum.
„Die Schuleingangsuntersuchungen weisen darauf hin, welche besonderen Herausforderungen ein Kind meistern muss,“ so Fachärztin Dietrich. „Deshalb ist für uns eine enge Zusammenarbeit mit den Schulen wichtig.“ Die Ergebnisse zeigen schon vor Schulbeginn auf, welche besonderen Fähigkeiten oder Defizite ein Kind mitbringt, wie man es bestmöglich fördern kann oder wie ein möglichst optimales Lernumfeld aussehen sollte. Nach Abschluss der Untersuchungen führen die Fachärzte deshalb Gespräche mit den Schulleitungen der Grundschulen in Vorbereitung auf das neue Schuljahr und die neuen Erstklässler.